SPD

Politische Gespräche in einem kriegs- und krisengebeutelten Land

Meine Reise in den Libanon

09.02.2024
Politische Gespräche mit dem geschäftsführenden Außenminister Dr. Bou Habib in Beirut, Libanon

Vom 4. bis zum 6. Februar bin ich für politische Gespräche nach Beirut, in die Hauptstadt des Libanon, gereist. Es war eine wichtige Reise in einer greifbar angespannten Lage im gesamten Nahen Osten.

Im Libanon hat die in Deutschland als Terrororganisation eingestufte Hisbollah insbesondere im Süden Landes de facto die Macht übernommen. Seit dem 8. Oktober liefert sich die vom Iran unterstützte Miliz an der libanesisch-israelischen Grenze – der sogenannten „Blue Line“ – immer wieder bewaffnete Auseinandersetzungen mit der israelischen Armee.

Der eigentliche libanesische Staat ist zunehmend handlungsunfähig. Das Land hat seit dem 1. November 2022 keinen Präsidenten mehr und die aktuelle Regierung ist seit den Parlamentswahlen im Mai 2022 nur noch geschäftsführend im Amt, nachdem keine neue Regierung gebildet werden konnte. Auch die sozialstaatliche Versorgung kann durch die Behörden nur unzureichend gewährleistet werden, sodass überwiegend internationale Hilfsorganisationen die Bevölkerung vor Ort versorgen. In dem Land mit insgesamt 6 Mio. Einwohner:innen sind 3,2 Mio. auf humanitäre Hilfe angewiesen – von den libanesischen Familien sind es 50 Prozent und von den aus Syrien vor dem Bürgerkrieg geflüchteten Familien ganze 90 Prozent.

Im Rahmen des UN-Mandats UNIFIL sind aktuell 10.500 Blauhelm-Soldat:innen im Einsatz, um die libanesischen Streitkräfte bei der Übernahme der Sicherheitsverantwortung sowie der Stärkung staatlicher libanesischer Strukturen im israelisch-libanesischen Grenzgebiet zwischen dem Litani-Fluss und der „Blue Line“ zu unterstützen, und um Aktivitäten entlang der „Blue Line“ insgesamt zu überwachen. Auch die Bundeswehr ist hier mit ca. 200 Soldat:innen beteiligt. Sie führt u. a. die maritime Komponente der Mission und ist mit einer Fregatte vor Ort.

Deutschland ist mit dem Libanon durch eine umfangreiche bilaterale Entwicklungszusammenarbeit verbunden. Die Unterstützung bei der Ernährungssicherung und Einkommensförderung, bei sozialer Sicherung und Bildung sind die Schwerpunkte unserer Zusammenarbeit. So konnten wir zwischen 2016 und 2021 beispielsweise die Schulgebühren von fast 795.000 Kindern im schulpflichtigen Alter finanzieren, darunter für knapp 390.000 bedürftige libanesische Kinder. Im gleichen Zeitraum konnten wir durch Investitionen im Wassersektor die Trinkwasserqualität und -verfügbarkeit sowie die Sanitärbedingungen von über 800.000 Menschen verbessern.

Ankunft im Grand Sérail, dem Sitz des geschäftsführenden libanesischen Premierministers Najib Mikati

In Beirut traf ich u. a. auf den geschäftsführenden Premierminister des Libanon, Najib Mikati. Im Gespräch mit ihm habe ich deutlich gemacht, dass die libanesische Regierung vor dem Hintergrund einer weiteren Eskalation des Konflikts an der israelisch-libanesischen Grenze alles in ihrer Macht Stehende tun muss, um die Situation entlang der „Blue Line“ zu deeskalieren, insbesondere die Kämpfe zwischen Hisbollah und israelischer Armee dürfen sich nicht verschärfen.

Wie in allen Gesprächen habe ich auch in diesem darauf hingewiesen, dass die Kampfhandlungen dazu geführt haben, dass auf israelischer Seite 80.000 Menschen ihre Wohnungen verlassen mussten und nun als Binnenvertriebene in anderen Teilen Israels untergebracht sind. Dies setzt den israelischen Staat unter Handlungszwang. Auf libanesischer Seite bin ich in diesem Punkt auf Verständnis gestoßen – allen ist zudem klar, dass die israelischen Bürger:innen sehr viel mehr von ihrem Staat erwarten als die binnenvertriebenen Libanes:innen, die sich vor allem auf ihre Familien stützen.

Mehrere libanesische Kabinettsmitglieder haben behauptet, nur syrische Geflüchtete würden im Libanon von der internationalen Gemeinschaft unterstützt – eine inakzeptable Verzerrung der Faktenlage. Deutschland ist bereit, diplomatische Verhandlungen zur Beilegung des Konfliktes zu unterstützen. Dafür braucht der Libanon jedoch dringend einen Präsidenten. Aus unserer Sicht sind umfassende Reformen in einer Reihe von Sektoren – von der Wasser- und Energieversorgung bis zur öffentlichen Verwaltung – Voraussetzung für die Verbesserung der aktuellen Situation im Libanon und für die fortwährende Gewährleistung internationaler Unterstützung.

Besonders beeindruckend war mein Zusammentreffen mit Palästina-Flüchtlingen. „Palästina-Flüchtlinge“ nennt man die Menschen, die in Folge der israelischen Staatsgründung und der nachfolgenden Kriege ihre Heimat verlassen haben. Sie leben, zum Teil seit Generationen, im Libanon in Lagern, sind nur für wenige Berufe zugelassen und dürfen kein Wohneigentum erwerben. Die Lager werden von UNRWA verwaltet, der Hilfsorganisation der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge. Von Ernährung bis zu Bildung und Gesundheitsversorgung übernimmt UNRWA die Funktion einer öffentlichen Verwaltung in den Lagern, allerdings mit sehr begrenzten Mitteln: Zurzeit erhalten die Flüchtlinge im Monat 25 US-Dollar (USD) für Nahrungsmittel, und drei Flaschen Trinkwasser kosten bereits 1 USD. Die Höhe der Mietbeihilfe wurde gerade von 100 USD auf 60 USD abgesenkt, bei Kosten von 200 USD für ein Zimmer. Mit Mitteln des Entwicklungsministeriums versuchen wir hier, etwas aufzustocken, z. B. bei der Instandhaltung der Lager.

UNRWA beschäftigt in Gaza ca. 13.000 Mitarbeitende und ist kürzlich in die Kritik geraten, weil gegen 13 von ihnen Vorwürfe erhoben wurden, sie hätten sich an dem am 7. Oktober 2023 verübten Massaker der Hamas in Israel beteiligt. Einige fordern gar die Auflösung dieser UN-Organisation. Ich sehe nicht, wie UNRWA in Libanon ersetzt werden könnte. UNRWA leistet dort einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zur Stabilität im Lande, weit über die Lager hinaus.

Auch mit Vertreter:innen des in der Region aktiven Welternährungsprogramms (WFP) bin ich zusammengetroffen und konnte mich vor Ort mit WFP-Regionaldirektorin Corinne Fleischer und dem WFP-Landesbeauftragten für den Libanon Abdallah Alwardat austauschen. Ihnen habe ich dafür gedankt, dass Deutschland mit dem WFP einen verlässlichen Partner im Nahen Osten hat, der die Existenz tausender Menschen sichert. Neben unserem Austausch und unserer Besorgnis über die aktuelle Lage insbesondere in den Grenzregionen waren wir uns darüber einig, dass das aktuell primär aus dem Ausland geber- und kreditfinanzierte Sozialsystem im Libanon mittelfristig selbsttragend werden muss. Die verschiedenen Programme, durch die wir mit unseren europäischen und internationalen Partner:innen die libanesische Bevölkerung bei der Deckung ihrer Grundbedürfnisse unterstützen, sollten auf mittlere Sicht zu einem staatlichen Sozialsystem vereinheitlicht werden. Denn von den Fortschritten, die in dieser Hinsicht von der libanesischen Regierung und den Hilfsorganisationen vor Ort passieren, machen unsere Partner:innen und wir auch den Umfang unserer zukünftigen Unterstützung für die Sozialsysteme abhängig.

Mein Zusammentreffen mit Marwan Sehnaoui, Präsident des Malteserordens Libanon

Über meine politischen Gespräche hinaus hatte ich u. a. bei einem Gesundheitsprojekt, das wir als Entwicklungsministerium finanzieren sowie in einem Gesundheitszentrum der Malteser die Gelegenheit zum Austausch mit der Zivilbevölkerung. In einem Gespräch mit Vertreter:innen von Stiftungen beschrieben diese mir, wie sehr sich ihre Arbeit dadurch verändert hat, dass die Positionierung Deutschlands als einseitig pro-israelisch wahrgenommen wird. Gerade in den Bereichen Menschenrechte und feministische Außen- und Entwicklungspolitik, so berichteten sie mir, haben wir viele Partner:innen oder zumindest deren Ohr verloren. Damit ging nach drei intensiven Tagen voller Gespräche, Verhandlungen und Eindrücke meine Reise in den Libanon zu Ende.

Ich bin sehr froh, dass ich diese Reise gerade zu diesem Zeitpunkt gemacht habe. Denn es gibt viel zu klären und nach meiner Rückkehr auch viel nachzuhalten. Bei der Suche nach Lösungen sind solche selbst gewonnen Eindrücke unschätzbar wichtig.

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