SPD

"Frieden kann nicht durch Gewalt erhalten werden. Er kann nur durch Verständnis erreicht werden."

Meine Rede bei der Eröffnungsveranstaltung des ersten Einstein Humanitarian Dialogs

04.12.2018
Mit David Miliband beim Einstein Humanitarian Dialog

-- es gilt das gesprochene Wort --

Herzlich willkommen zur heutigen Veranstaltung im Weltsaal des Auswärtigen Amtes! Ich freue mich, dass Sie der Einladung des International Rescue Committee gefolgt sind.

Der Weltsaal im Auswärtigen Amt steht für Dialog und Diskussion. Wir selbst laden oft hierher ein, um kontrovers zu diskutieren. Mit staatlichen Vertreterinnen und Vertreter, der Zivilgesellschaft, der Kunst oder der Wissenschaft. Wir tauschen uns hier aus und suchen nach Lösungen für aktuelle Probleme. Und wir freuen uns besonders, wenn ausgewählte Partnerorganisationen den „Geist dieses Ortes“ in diesem Sinne nutzen und es uns gleichtun.

Der Auftakt des Einstein Humanitarian Dialog des International Rescue Committee findet hier, wie ich meine, einen passenden Rahmen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,
Albert Einstein hat das IRC ins Leben gerufen, als sich das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte abzeichnete. Er dürfte sich damals gewünscht haben, dass die Not von Flüchtlingen und Vertriebenen schnell überwunden sein wird. Global betrachtet hat sich das leider nicht bewahrheitet.

Heute engagiert sich das IRC in den schwierigsten Krisenkontexten der Welt und die Zahl von Flüchtlingen und Vertriebenen ist so hoch wie seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs nicht mehr.

Die politische Weltkarte ist dominiert von Krisen und Konflikten. Solidarität mit Menschen in Not bleibt bitternötig, aber eine Selbstverständlichkeit ist sie nicht.

Ich möchte mich deswegen zunächst bei Ihnen für Ihre wichtige Arbeit bedanken. Wir unterstützen Sie gerne in Ihrer Projektarbeit und erkennen die Wichtigkeit eines humanitären Dialogs in Zeiten wie diesen.

Sehr geehrte Damen und Herren,
die internationale Ordnung, wie wir sie kennen, ist angeschlagen, durch Populisten und Nationalisten weltweit bedroht. Wir dürfen uns mit dieser Entwicklung nicht abfinden. Deutschland, die Europäische Union und andere Freunde des Multilateralismus müssen sich daher nicht nur als humanitäre Geber, sondern als grundsätzliche Säulen der auf Regeln und internationaler Zusammenarbeit basierenden Ordnung verstehen.

In Zeiten globaler Herausforderungen, in Zeiten, in denen Menschen Not leiden und vertrieben werden, nimmt Deutschland seine gewachsene internationale Verantwortung wahr. Dabei orientieren wir uns national an den Leitlinien der Bundesregierung, europäisch an der Globalstrategie der EU und global an den Reformanstrengungen des VN-Generalsekretärs. Deutschland ist mittlerweile zweitgrößter Geber und leistet bedarfsorientiert humanitäre Hilfe weltweit.

Meine Damen und Herren,
Lassen Sie mich zwei Beispiele anführen:

Erstens: Die Jemen-Krise gilt als die größte humanitäre Katastrophe weltweit. In Jemen wurden seit Beginn des Konfliktes fast zweieinhalb Millionen Menschen vertrieben. Mehr als die Hälfte dieser Binnenvertriebenen sind Kinder. Der Krieg raubt ihnen jede Lebensperspektive. Gleichzeitig fliehen Tausende Menschen in andere Länder – sogar nach Somalia!

Dabei ist Somalia selbst weiterhin sehr fragil und von wiederkehrenden Dürren bedroht. Diese Fluchtbewegungen verdeutlichen, wie furchtbar Bedrohung und Hoffnungslosigkeit der Menschen in ihrer Heimat sein müssen. Wer sich auf diesen Weg begibt, tut das nur, weil es alle anderen Optionen noch schlechter wären.

Nur ein von den Vereinten Nationen geführter inklusiver Vermittlungsprozess kann zu einer politischen Lösung in Jemen führen. Deshalb engagieren wir uns intensiv für eine Wiederaufnahme der Verhandlungen in dieser Woche in Schweden und einen humanitären Dialog. Außerdem unterstützen wir mit der Berghof Foundation informelle politische Gespräche, halten Gesprächskanäle offen und bereiten Themen für die offiziellen Friedensgespräche vor.

Dabei streben wir eine größtmögliche Beteiligung aller Kriegsparteien und Bevölkerungsgruppen an. Denn nur ein Friedensprozess, der alle Parteien mitnimmt, bietet in dieser Situation Aussicht auf eine nachhaltige Befriedung der Lage und damit auf eine Stabilisierung des Landes.

Doch wir haben es nicht bei Appellen belassen: mit der inzwischen berühmt gewordenen „Jemen-Klausel“ haben wir deutlich gemacht, dass Deutschland nicht mehr bereit ist, Waffen an die Staaten zu liefern, die nmittelbar am Krieg im Jemen beteiligt sind. Und auch gegenüber dem Iran haben wir erfolgreich einen politischen Dialog über den Jemen-krieg eingefordert.

Sehr geehrte Damen und Herren,
richten wir zweitens unseren Blick nach Syrien. Aus einem Bürgerkrieg ist ein regionaler Flächenbrand geworden – mit weiterem Eskalationspotenzial in einer ohnehin äußerst instabilen Region. Seit 2011 befindet sich das Land im Kriegszustand. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist vor den Kämpfen geflohen; über sechs Millionen Menschen alleine innerhalb Syriens. Weitere fünf Millionen Flüchtlinge suchen in der Region Schutz, vor allem in Libanon, Jordanien und der Türkei.

Das syrische Regime hat zwar inzwischen die Kontrolle über den Großteil des Staatsgebiets wiedererlangt. Die Not der Menschen, insbesondere der Vertriebenen, ist dadurch aber nicht geringer geworden. Schutz und Versorgung, etwa mit Strom, Wasser oder Gesundheit, bleiben zentrale Herausforderungen, bei denen die internationale Gemeinschaft gefordert ist.

Gleichzeitig bleiben Sicherheit für die geflohenen Menschen und ein glaubwürdiger politischer Prozess unabdingbare Voraussetzungen für die Rückkehr von ins Ausland Geflüchteten und den Wiederaufbau.

Ein politischer Prozess zur Befriedung des Landes wird nur unter dem Dach der Vereinten Nationen erfolgreich sein können, deshalb haben wir aktiv Staffan de Mistura unterstützt, auch mit eigenen Ressourcen.

Außerdem unterstützt Deutschland sowohl zivilgesellschaftliche Friedensinitiativen als auch die Dokumentierung und Aufarbeitung von Menschenrechtsverletzungen – beides Grundlage für eine spätere Versöhnung im Land.

Meine Damen und Herren,
das waren nur zwei Krisen, die hier exemplarisch stehen sollen. Es gibt so viele mehr, alle sehr komplex und grundverschieden. Aber eine Gemeinsamkeit bleibt: Um sie zu lösen, müssen wir als internationale Gemeinschaft zusammenstehen. Nur auf multilateralen Wegen werden wir weiter kommen.

Doch diese Erkenntnis ist heute auch in unserem eigenen Land nicht mehr unumstritten. Das zeigt die gegenwärtige Debatte über die Migrations- und Flüchtlingspakte, in denen mit Lügen und Hetzkampagnen eine Atmosphäre der Verunsicherung geschaffen wird. Trotz dieser Kampagne setzten wir uns für die Annahme der New Yorker Erklärung für Flüchtlinge und Migranten für die Erarbeitung eines starken Globalen Pakts für Flüchtlinge ein. Weil wir überzeugt sind, dass wir nur gemeinsam, durch einen umfassenden Ansatz wie er im Globalen Pakt für Flüchtlinge verankert ist, die Flüchtlingssituationen dauerhaft lösen können.

Die Annahme des Globalen Pakts im Dezember ist deshalb eine Chance für die internationale Gemeinschaft und kann ein großer Erfolg des Multilateralismus werden.

Meine Damen und Herren,
Ab dem 1. Januar 2019 wird Deutschland für zwei Jahre einen Sitz im VN-Sicherheitsrat einnehmen und damit einem Gremium angehören, das derzeit tiefer gespalten ist als während unserer letzten Mitgliedschaft. Wir haben uns intensiv vorbereitet und gehen die zwei Jahre mit Gestaltungsanspruch an – wohlwissend, dass wir als einzelner Staat nur begrenzten Einfluss haben. Umso wichtiger ist eine gemeinsame Haltung der EU.

Wir werden uns stark machen für eine nachhaltige Friedenssicherung und Ansätze, um Krisen zu verhindern und Konflikte zu bewältigen. Diese Politik haben wir durch unser Engagement in den letzten Jahren weiter untermauert, z. B. im Irak, in Somalia, im Sahel und in der Tschadseeregion.

Um unsere Fähigkeiten für Krisenprävention und Konfliktbewältigung auszubauen, brauchen wir eine stärkere Vorausschau und mehr Innovation. Wir sind uns bewusst: Die Widerstände gegen Befassung mit diesen Fragen sind bei einigen Mitgliedern des Sicherheitsrates groß, aber wir wollen trotzdem ausloten, wo Räume bestehen, um diese Themen fester auf der Agenda des Sicherheitsrats zu verankern.

Dabei werden wir unseren Fokus auf Menschenrechte und Sicherheit, auf die Beteiligung von Frauen in Friedensprozessen, auf Klima, auf das humanitäre Völkerrecht, humanitären Zugang, den Schutz humanitärer Helfer und auf Abrüstung legen.

Im Rahmen unserer Sicherheitsratsmitgliedschaft wollen wir regional übergreifende Kooperation stärken und möchten auch eine europäische Stimme sein. Die enge Abstimmung und Koordinierung der EU-Mitgliedstaaten, die nächstes Jahr mit im Sicherheitsrat sitzen werden (Frankreich, Deutschland, Polen, Belgien und Großbritannien – wohl leider nur noch kurze Zeit in der EU), stärkt die europäische Position. Wir werden eng mit Frankreich an unseren direkt aufeinander folgenden Sicherheitsratspräsidentschaften im März und April zusammenarbeiten.

Die Ausgestaltung dieser „Jumelage“ bedeutet, eine Brücke zwischen beiden Vorsitzen zu bauen und gemeinsame Initiativen zu lancieren. Wir werden diese Chance ergreifen, denn nur gemeinsam, mit der Europäischen Union als Rahmen, haben wir das nötige Gewicht, um unsere wertebasierten Interessen auf der Weltbühne auch angemessen vertreten zu können.

Meine Damen und Herren,
85 Jahre nachdem Albert Einstein das IRC in dunklen Zeiten gegründet hat, stehen wir an einem Scheideweg: Treten wir globalen Herausforderungen als Gemeinschaft gegenüber oder lassen wir zu, dass Nationalismus und populistisches Denken die Überhand gewinnen?

Einstein hat damals schon gesagt, was die Welt sich heute wieder ins Gedächtnis rufen sollte: „Frieden kann nicht durch Gewalt erhalten werden. Er kann nur durch Verständnis erreicht werden.“

Verständnis entsteht durch Gespräche. Gerade deswegen freue ich mich auf den heutigen Austausch im Weltsaal des Auswärtigen Amtes.

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