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IPG-Kolumne: „Erdoğan sollte nicht nach Deutschland kommen“

03.03.2017

In meiner aktuellen Kolumne für das IPG-Journal, die am 02. März erschienen ist, gehe ich auf das angeschlagene deutsch-türkische Verhältnis ein.

Die deutsch-türkischen Beziehungen durchleben stürmische Zeiten. Seit einem Jahr vergeht kaum ein Monat ohne neue Belastungsprobe. Im März 2016 war es der Fall Böhmermann. Nun der Fall Deniz Yücel. Dazwischen die Reaktionen Ankaras auf die Armenien-Resolution des Deutschen Bundestags, die Diskussion über das Besuchsrecht auf dem Luftwaffenstützpunkt Incirlik, die Verhaftungs- und Entlassungswellen im Nachgang des Putschversuchs, die Gewalteskalation im türkisch-kurdischen Konflikt, die türkischen Vorwürfe gegen Deutschland, nicht gegen die Gülen-Bewegung vorzugehen, oder die ungeklärten Spionagevorwürfe.

Selbst mit dem größten Verständnis für die türkischen Befindlichkeiten nach dem glücklicherweise gescheiterten Putschversuch und der Selbsterkenntnis, dass auch auf deutscher Seite Fehler begangen wurden, kann man nicht verleugnen, dass sich die Türkei unter Präsident Recep Tayyip Erdoğan in großen Schritten von Europa und den europäischen Werten wegbewegt.
 

Deutschland hielt (und hält) die Hand in Richtung Ankara ausgestreckt. Doch gibt es keine ernsthaften Hinweise darauf, dass diese ausgestreckte Hand von türkischer Regierungsseite ergriffen würde.

 


Deutschland hielt (und hält) die Hand in Richtung Ankara ausgestreckt. Doch gibt es keine ernsthaften Hinweise darauf, dass diese ausgestreckte Hand von türkischer Regierungsseite ergriffen würde. „Die gesellschaftliche Entfremdung zwischen Deutschland beziehungsweise der EU und der Türkei darf sich nicht noch weiter verstärken“, habe ich wenige Wochen nach dem gescheiterten Putschversuch an dieser Stelle im Juli letzten Jahres geschrieben. Leider ist genau das eingetreten.

Im April steht nun das Referendum über die Verfassungsänderungen an. Die (bislang theoretische) Frage, ob Präsident Erdoğan dafür im Vorfeld in Deutschland werben darf, bewegt die Gemüter. Meine Haltung dazu ist klar: Herr Erdoğan sollte nicht nach Deutschland kommen, um die Werbetrommel dafür zu schlagen, Demokratie und Rechtsstaat in der Türkei abzubauen. Aber gerade weil Deutschland eine Demokratie und ein Rechtsstaat ist, in dem Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit nicht nur auf dem Papier existieren, wäre es nicht richtig, ihm einen Auftritt zu verbieten. Sein Werben können und müssen wir aushalten. Gerade auch dann, wenn wir seine Argumente für falsch halten und ablehnen. Wichtig ist mir aber, dass ein möglicher Auftritt friedlich bleibt. Präsident Erdoğan und seine Regierungsmitglieder tragen hierfür eine besondere Verantwortung. Sie dürfen die bereits polarisierte türkisch-stämmige Gemeinschaft in Deutschland nicht noch weiter auseinander treiben. Als Gast muss sich Herr Erdoğan an deutsches Recht und Gesetz halten.

Klar ist auch, dass weder die deutsche Politik noch die Öffentlichkeit Herrn Erdoğan einen roten Teppich ausrollen. Die aktuelle Lage in der Türkei und gerade die Verhaftung von Deniz Yücel erfordern Klartext. Der WELT-Korrespondent Yücel hat sich freiwillig den türkischen Behörden gestellt. Die gegen ihn erhobenen Vorwürfe sind haltlos. Er hat das getan, was ein kritischer und unabhängiger Journalist tun muss. Die Entscheidung, ihn dennoch in Untersuchungshaft zu nehmen, ist nicht nachvollziehbar und schadet nicht nur dem deutsch-türkischen Verhältnis. Die Entscheidung schadet vor allem der Türkei selbst.

Angesichts des anhaltenden Notstands und der Verhaftung und Entlassung tausender Richter und Staatsanwälte fällt es sehr schwer, das Argument einer unabhängigen Justizentscheidung gelten zu lassen. Es verfestigt sich vielmehr der Eindruck, dass der Fall Yücel politisch motiviert ist. Meines Erachtens sollen diejenigen weiter eingeschüchtert werden, die sich gegen die geplante Verfassungsänderung stellen. Dazu zählen auch zahlreiche HDP-Abgeordnete, die bereits verhaftet wurden.

Der Journalist Deniz Yücel ist kein Einzelfall. In der Türkei sitzen mittlerweile mehr Journalisten in Haft als in jedem anderen Staat der Welt. Reporter ohne Grenzen erstellt jährlich einen Index zur Pressefreiheit, basierend auf standardisierten Expertenbewertungen und Erhebung weiterer Daten. Die Türkei liegt dabei auf Platz 151 von 179. Und die Türkei ist ein Land, das offiziell weiterhin Mitglied der EU werden möchte.

Ob Erdoğans Kalkül der Einschüchterung aufgeht, wird sich am 16. April entscheiden. Mehr als eine Million türkische Staatsangehörige, die in Deutschland leben, haben dann die Möglichkeit abzustimmen. Obwohl es in der hiesigen türkischen Bevölkerung zahlreiche Anhänger eines „starken“ türkischen Staats geben mag, so ist doch fraglich, ob das Vorgehen der türkischen Regierung wirklich Ausdruck von Stärke ist und hierzulande auf Sympathie trifft.

 

 

Die türkischen Institutionen, inklusive des Sicherheitsapparats, sind durch die Hexenjagd auf tatsächliche und vermeintliche Gülen-Anhänger geschwächt.


Die türkischen Institutionen, inklusive des Sicherheitsapparats, sind durch die Hexenjagd auf tatsächliche und vermeintliche Gülen-Anhänger geschwächt, und das in Zeiten einer starken Bedrohung durch die Terrororganisation „Islamischer Staat“. Außenpolitisch ist die Türkei isolierter als noch vor einigen Jahren, trotz vorläufig gefestigter Partnerschaft mit Russland. Das vor allem gegen die Kurden gerichtete militärische Engagement der Türkei in Syrien wird in vielen Hauptstädten kritisch beobachtet. Gesellschaftlich ist das Land tief gespalten und wirtschaftlich ist die Türkei angeschlagen. Die Verhaftung von Deniz Yücel wird nicht dazu beitragen, dass sich dies bessert. Im Gegenteil: Ausländische Touristen werden abgeschreckt, ebenso investitionswillige Unternehmen, die auf Rechtssicherheit angewiesen sind.

Was also tun? Erstens: Neben der deutlichen Kritik am Regierungskurs bleibt es richtig, die Kanäle gerade mit jenen Akteuren in der Türkei offen zu halten, die sich für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit einsetzen. Auch im Fall Yücel gab es zahlreiche solidarische Reaktionen von Seiten mutiger türkischer Journalisten und aus den Oppositionsparteien CHP und HDP. Und selbst einzelne AKP-Leute sehen die Verhaftung kritisch. Wie schrieb einst der Friedensnobelpreisträger und Hamburger Journalist Carl von Ossietzky: „Bei dem uralten Duell zwischen physischer Gewalt und freiem Gedanken ist die Gewalt im letzten Gang immer unterlegen.“

Zweitens: Als Außenpolitiker müssen wir einen kühlen Kopf bewahren. Die geopolitische Lage der Türkei lässt sich nicht verändern. Es gibt gemeinsame Interessen, gerade im Kampf gegen den internationalen Terrorismus, von dem die Türkei noch viel stärker betroffen ist als wir Europäer. Hier müssen wir weiter die intensive Zusammenarbeit suchen. Gleichzeitig müssen wir auf die Einhaltung demokratischer Werte bestehen und diese von der Türkei ohne Wenn und Aber einfordern.

Wir können kein Interesse daran haben, dass die Türkei Teil des Nahen Ostens wird und sich von Europa löst. Welchen Weg die Türkei aber letztlich einschlägt, müssen die Türkinnen und Türken mit allen Konsequenzen selbst entscheiden.

 

 

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