SPD

Energierevolution in den USA – was sind die geopolitischen Konsequenzen?

14.10.2014
Shell Energie-Dialog 2014

Am 13. Oktober 2014 habe ich beim Shell Energie-Dialog eine Rede zur Energierevolution in den USA und den geopolitischen Konsequenzen gehalten:



- Es gilt das gesprochene Wort. -

Sehr geehrter Herr Dr. Blauwhoff,
sehr geehrter Herr Prof. Bichsel,
sehr geehrter Herr Prof. Perthes
sehr geehrte Damen und Herren,

vielen Dank für die Einladung zum Shell Energie-Dialog und Ihre einleitenden Worte.
Als Außenpolitiker werde ich den Fokus insbesondere auf die geopolitischen Konsequenzen der Energierevolution in den USA setzen.

Ein Blick in die Abendnachrichten zeigt: Die Welt scheint aus den Fugen geraten zu sein.
Russland hat die Souveränität der Ukraine durch die völkerrechtswidrige Annexion der Krim in eklatanter Weise verletzt. Als Folge davon droht eine politische Eiszeit im Verhältnis mit Russland.
Bei der Destabilisierung der Ukraine hat Russland auch seine Energielieferungen an Kiew als Druckmittel eingesetzt. Und noch vor wenigen Monaten hat sich niemand eine kriegsähnliche Eskalation in der Ukraine mit mehr als 3.600 Toten vor unserer Haustür vorstellen können.

Das unberechenbare Verhalten Moskaus hat auch in Deutschland – vor allem aber in den östlichen Mitgliedsstaaten der EU – Ängste über eine Rückkehr des Krieges nach Europa ausgelöst. Dieser Vertrauensverlust ist langfristig vielleicht die gravierendste Konsequenz aus dem Konflikt mit Russland. Diese Erfahrung konterkariert das positive Bild Russlands als Handelspartner, der selbst zu Sowjetzeiten verlässlich geliefert hat.

Ein Blick in den Nahen und Mittleren Osten kann uns ebenfalls nicht besser stimmen:
Mehr als drei Millionen Syrer sind inzwischen vor dem Krieg in die Nachbarländer geflohen. Die Anzahl der Binnenflüchtlinge in Syrien beträgt 6,5 Millionen. Im Irak hat ISIS die humanitäre Katastrophe nochmals erheblich verschärft. Inzwischen sind allein im Irak rund 1,6 Millionen Menschen geflüchtet.

Von Libyen über die Levante, von der türkisch-syrischen Grenze über die arabische Halbinsel bis hin zum Persischen Golf droht die ganze Region des Nahen und Mittleren Osten destabilisiert zu werden.
Betroffen sind jeweils Regionen, die maßgeblich zur weltweiten Versorgung mit Öl und Gas beitragen. So wird nicht umsonst die Golfregion als das Rückgrat der Weltölversorgung bezeichnet:
• Rund 24 Prozent des weltweit geförderten Öls stammen vom Persischen Golf.
• Ein Drittel des internationalen Ölhandels hat dort seinen Ausgang.
• Die Golfregion verfügt über die größten freien Förderpotentiale.

Doch was bedeuten diese dramatischen Entwicklungen im Nahen und Mittleren Osten und der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine für die Versorgungssicherheit für uns in Deutschland und Europa?

Der Streit Russlands mit der Ukraine über die Gasversorgung hat uns in Deutschland die Problematik der Abhängigkeit von Energieimporten erneut vor Augen geführt.

Russland ist und bleibt dabei der Hauptenergielieferant Europas:
• Die Hälfte aller europäischen Gasimporte erfolgt über das Gebiet die Ukraine.
• Deutschland bezieht bekanntlich 36 Prozent seines Gas- bzw. 39 Prozent seines Ölbedarfs aus Russland.
• Aber – und das wird gerne übersehen – sechs Mitgliedsstaaten der EU sind zu 100 Prozent von Energielieferungen aus Russland abhängig.

Diese Zahlen machen ganz deutlich: Energiepolitik gehört zum Kerngeschäft der Außen- und Sicherheitspolitik. Die Vereinigten Staaten von Amerika haben ihre Politik anders als wir stets ganz offen danach ausgerichtet.
Seit Ende der 1970er Jahre besteht eine wesentliche strategische Priorität der USA darin, politischen und militärischen Einfluss am Persischen Golf sicherzustellen. Und trotz der Schiefergasrevolution und des hier z.T. überzogen interpretierten „Pivot to Asia“ werden sich die USA kurz- oder mittelfristig nicht aus diesem wichtigen Raum zurückziehen.

Ein Rückzug der USA aus der Golfregion ist angesichts der aktuellen Lage hinsichtlich Terrorismus, Nichtverbreitung, und des Schutzes Israels unrealistisch und würde ein Machtvakuum hinterlassen. Auch deshalb steigt übrigens die Militärpräsenz am Persischen Golf.
Diese Entwicklung macht es allerdings auch wahrscheinlicher, dass die USA von uns Europäern eine stärkere Lastenverteilung erwarten: Entweder in Form einer finanziellen Beteiligung oder durch die Bereitstellung eigener maritimer Fähigkeit zum Schutz der Handelswege.

Kurzfristig gibt es zum russischen Öl und Gas keine erkennbare Alternative. Im Gegensatz zu einigen südosteuropäischen Ländern könnte Deutschland zwar einen Ausfall der Gaspipeline durch die Ukraine über mehrere Monate kompensieren. Und selbst ein Totalausfall aller russischen Gaslieferungen könnte Deutschland für einen Monat überbrücken.

Man darf aber Zweifel daran haben, ob eine solche Konfrontation im Interesse Russlands sein kann, denn eine Pipeline nach China gibt es noch nicht und der neue Partner würde sicherlich Kapital daraus ziehen, dass die Öl- und Gasexporte 70 Prozent der gesamten russischen Exporte ausmachen. Es ist ja interessant, dass über den zwischen China und Russ-land vereinbarten Lieferpreis bisher nichts wirklich bekannt geworden ist.

Als Hamburger Bundestagsabgeordneter kenne ich natürlich die Sorgen und Nöte gerade der energieintensiven Industrie. Allein die Kupferhütte Aurubis in Hamburg verbraucht jährlich zwischen 600 und 650 Millionen Kilowattstunden. Das ist fast so viel wie 200 000 Haushalte pro Jahr verbrauchen.

Die Welt schaut auf Deutschland und seine Energiewende. Oberstes Ziel ist dabei für mich der Dreiklang von Umwelt- und Klimaverträglichkeit, Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit für die Menschen und die Industrie.
Dabei sehe ich keinen Widerspruch zwischen dem Erhalt der industriellen Basis und der Grundstoffindustrie in Deutschland einerseits und dem Ausbau der Erneuerbaren Energien andererseits.

Angesicht der aktuellen Lage und unserer energiewirtschaftlichen Abhängigkeit müssen wir uns mittelfristig neu aufstellen. Doch wie kann das konkret aussehen?

Auf verstärkte Flüssiggasexporte der USA könnten wir erst in mehreren Jahren setzen. Rohölexporte sind bisher grundsätzlich verboten. Und das Flüssiggas wird der marktwirtschaftlichen Logik folgend wohl eher in den asiatischen Raum geliefert werden.

Wir müssen deshalb massiv in Energieeffizienz investieren. Denn jeder Kubikmeter eingespartes Gas und jeder eingesparte Liter Öl macht uns unabhängiger von Energieimporten.
Auch brauchen wir endlich die Vollendung des Energiebinnenmarktes in Europa. In eine Wiederholung der Energierevolution Nordamerikas sollten wir meines Erachtens nicht zu viel Hoffnung setzen. Zu unterschiedlich sind die Gegebenheiten für die unkonventionellen Fördermethoden und vor allem mangelt es an politischer Akzeptanz.

Was wir in den nächsten Jahren brauchen ist die Diversifizierung von Energiequellen, Herkunftsländern und Transportrouten.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

Hinweis zum Einsatz von Cookies

close