Wahl des Parteivorsitzes

Offener Brief an alle SPD-Mitglieder

16.10.2019

Liebe Genossinnen und Genossen,

wir Mitglieder der SPD werden in den nächsten Wochen einen Vorschlag für den Vorsitz unserer Partei machen. Erstmals wird es ein Team sein.

Jedes Mitglied wird ganz persönlich für sich entscheiden, welchem Team es das Vertrauen schenkt. Wir veröffentlichen daher keinen weiteren Wahlaufruf. Wir sind allerdings in den letzten Tagen und Wochen häufiger gefragt worden, für wen wir stimmen werden und warum. Das wollen wir gerne beantworten und hier unsere Gründe darlegen.

Die vor uns liegende Entscheidung ist keine, die man aus einer Laune heraus trifft. Es ist vermutlich die wichtigste Personalentscheidung in der jüngeren Geschichte unserer Partei. Denn es ist vielleicht auch zugleich die letzte Chance, das Bild von der SPD als der linken Volkspartei zu aktivieren und sie damit wieder möglichst deutlich über 20 Prozent zu bringen.

Für uns sind dabei folgende Überlegungen entscheidend:

  • Das Team, das die SPD führen soll, muss eine klare Idee haben, wie die SPD weiter zu erneuern ist und wie es gelingen kann, sie inhaltlich und organisatorisch auf die 2020er Jahre einzustellen.
  • Das Team, das die SPD führen soll, braucht aber zugleich auch Zustimmung in der Bevölkerung, denn Vertrauen zu Parteien entsteht über Personen. Und nur dann, wenn die SPD mehr Zustimmung bei den Wählerinnen und Wählern bekommt, wird sie wieder stolz auf sich selbst sein.
  • Das Team, das die SPD führen soll, steht also vor einer doppelten Integrationsaufgabe: einmal in der Partei und einmal in der Gesellschaft. Es geht darum, aus vielen, auch teils gegensätzlichen Meinungen und Stimmungen, wieder ein klar erkennbares Politikangebot links der Mitte zu machen – auch als Antwort auf die Spaltungen und Fliehkräfte unserer Gesellschaft.

Darum werden wir Klara Geywitz und Olaf Scholz wählen. Denn sie stehen für Erfahrung und Erneuerung. Sie haben in ihrer bisherigen politischen Arbeit bewiesen, dass sie das sozial­demokratische Reden auch in sozialdemokratisches Handeln übersetzen.

Klara (43) ist eine Frau aus dem Osten, Mutter von drei Kindern, die umfangreiche landes- und kommunalpolitische Erfahrung hat – als langjähriges Mitglied erst in der Stadtverordneten­versammlung in Potsdam und dann im brandenburgischen Landtag. Sie steht gleichzeitig für die nötige personelle Erneuerung der SPD auf Bundesebene. Klara blickt mit größerer Freiheit auf die Berliner Politik, kennt sie aber auch: Seit dem letzten Parteitag 2017 ist sie Mitglied im Parteivorstand. Wir kennen Klara als kluge, organisations­- und kommunikationsstarke Politikerin, die sowohl die organisatorischen wie die inhaltlichen Aufgaben als Parteivorsitzende bewältigen kann. Durch ihre bisherigen Funktionen (als stellvertretene Landesvorsitzende und Generalsekretärin, stellvertretende Fraktionsvorsitzende und Parlamentarische Geschäftsführerin des größten Landesverbandes im Osten) weiß sie, wie Parteiführung geht und welche Herausforderungen unsere Partei mit sich bringen kann. Sie kennt insbesondere die Situation einer Partei mit weniger werdenden Mitgliedern – und hat als Generalsekretärin in Brandenburg erfolgreich eine Organisationsreform der Partei umgesetzt. Im Landtag hat sie – zuletzt als Vorsitzende des Innenausschusses – immer wieder den Nationalisten der AfD die Stirn geboten. Sie engagiert sich stark auch außerhalb der Partei, etwa im sechsköpfigen Vorstand der Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit oder in der Kooperation mit der Opposition in Weißrussland. Klara steht in besonderer Weise für Themen, bei denen die SPD wieder klarer erkennbar sein muss: Gleichstellung, Ostdeutschland und Integration von Bürgerinnen und Bürgern mit Migrations­hintergrund.

Olaf (61) ist der wohl erfahrenste Bundes- und Landespolitiker unserer Partei. Er gilt zu Recht als sehr erfahrener Verhandler – und hat gezeigt, dass er für unsere Partei Wahlen gewinnen kann. Mit seinen hohen Zustimmungs­werten bei den Bürgerinnen und Bürgern kann er einen wichtigen Beitrag leisten, die SPD aus dem derzeitigen Umfrage­tief zu befreien. Er hat in den vergangenen Jahren immer auch – über die bestehende „Beschluss­lage“ hinaus – neue Akzente gesetzt, beispielsweise für den Mindestlohn von mindestens 12 Euro oder die Rentengarantie. In Regierungsverantwortung macht er sozialdemokratische Politik. Ob als Arbeitsminister während der globalen Finanzkrise mit der Kurzarbeiterregelung oder als Hamburger Bürgermeister etwa mit dem Wohnungsbau (und dem Hamburger „Bündnis für Wohnen“, das inzwischen Vorbild für ähnliche Bündnisse überall ist), der Einführung gebührenfreier Krippen und Kitas oder der Abschaffung der Studiengebühren. Aber auch die Jugendberufsagentur für Auszubildende und der konkrete Klimaschutz (etwa mit den meisten Ladesäulen für Elektroautos) zählen zu seinen Erfolgen. Er hat als Verhandlungsführer der Länder die Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen durchgesetzt und ihnen und den Kommunen damit den nötigen finanziellen Spielraum für die Zukunft verschafft. Als Finanzminister zeigt er jetzt, dass Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten mit Geld umgehen können und uns die Bürgerinnen und Bürger die Führung dieses Landes anvertrauen können. Er steht für Rekordinvestitionen und den entschiedenen Kampf für internationale Steuergerechtigkeit, etwa bei seinem Einsatz für die effektive globale Mindestbesteuerung, gerade auch der Internetunternehmen.

Die Erwartungen und Anforderungen an unsere neue Parteiführung sind zurecht sehr hoch. Vielleicht so hoch, dass eine Person allein sie derzeit gar nicht erfüllen kann. Mit dem richtigen Team kann das jedoch gelingen, wenn sie gleichzeitig eng beieinander sind und ihre unterschiedlichen Talente einbringen. Es kommt nicht darauf an, ob die Frau oder der Mann des Teams alle Erwartungen oder jedes Kriterium erfüllt. Sondern darauf, dass beide zusammen die SPD gut, verlässlich und sicher führen können.

Klara und Olaf ergänzen sich in ihrer Herkunft, ihren Lebenswegen und ihren politischen Erfahrungen und „ticken“ doch ähnlich. Sie kennen sich schon länger. Für uns ist ein wichtiges Kriterium, dass sie nicht nur während der Bewerbungsphase gut harmonieren, sondern auch später als Vorsitzenden-Team zusammen „funktionieren“ würden.

Klara und Olaf haben konkrete Erfahrungen mit Führungsverantwortung in unserer Partei. Klara hat in Brandenburg gezeigt, wie eine lebendige SPD auch mit wenig hauptamtlichen Ressourcen und verhältnismäßig wenig Mitgliedern erfolgreich sein kann. Sie steht auch für eine klare Kante gegen die AfD – im Osten und überall. Olaf hat als Landesvorsitzender in Hamburg die Partei erneuert und verjüngt – und sie nach einer schlimmen Wahlniederlage 2009 wieder so aufgebaut, dass sie 2011 bei der Bürgerschaftswahl die absolute Mehrheit erzielen konnte.

Für die SPD gilt es jetzt, Profil zu gewinnen. Das kann durchaus auch in der derzeitigen Regierung gelingen. Wir definieren uns als stolze Partei allein über uns selbst – und nicht über unsere Koalitionspartner.

Wir brauchen dazu konkrete Themen und politische Vorschläge. Vorschläge, die die Bürgerinnen und Bürgern bei der nächsten Wahl klar mit der SPD verbinden. Realistische Vorschläge, bei denen die Wählerinnen und Wähler wissen, dass die SPD sie in Regierungsverantwortung auch umsetzen wird.

Es geht um Vorschläge, die uns unterscheidbar machen von den politischen Konkurrenten. Klara und Olaf arbeiten an genau solchen Vorschlägen und bringen sie in die öffentliche Debatte ein. Daher reden sie von sozialen Rechten und Sicherheiten, auf die Verlass ist. Es geht um den funktionierenden Sozialstaat und eine erfolgreiche Wirtschaft auch für die 2020er und 30er Jahre. Zwei Beispiele, wie solche konkreten – von der Union unterscheidbaren – Vorschläge aussehen können:

Erstens, der Einsatz für ein gerechtes Steuersystem mit einem höheren Spitzensteuersatz und einer Vermögenssteuer – während wir gleichzeitig jetzt dafür sorgen, dass CDU und CSU mit ihren Ideen für Steuersenkungen für die Reichen nicht durchkommen.

Zweitens, das Ziel eines Mindestlohns von mindestens 12 Euro, da jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer für harte Arbeit mindestens einen solchen Lohn verdient, dass er oder sie im Alter nicht auf öffentliche Unterstützung angewiesen ist. Denn das verstößt gegen die Ehre und den Anstand. Und gleichzeitig setzen wir in der Regierung und dem Bundestag eine Mindestvergütung für Auszubildende und die Einschränkung der sachgrundlosen Befristung durch.

Unsere Partei wird so (und mit den anderen bestehenden und noch zu erarbeitenden Vorschlägen) die vielfach gestellte Frage beantworten, wofür die SPD eigentlich steht. Klar ist aber auch, dass aus der Summe von guten Gesetzen allein noch keine neue Zustimmung wächst. Klara und Olaf erzählen daher die dazugehörige größere Geschichte. Es geht um den erneuerten Kitt, der unsere Gesellschaft zusammenhält. Es geht darum, dass wir der exklusiven Solidarität von rechts unsere inklusive Solidarität entgegenstellen; dass wir nicht ausgrenzen, sondern einbinden – also um ein neues „Wir“.

Wir sind überzeugt davon, dass die SPD als Organisation wieder der Resonanz- und Streitraum für die genannten Ideen und Geschichten werden muss. Wir dürfen uns dabei nicht vorrangig mit uns selbst beschäftigen, sondern mit den Themen, die unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger bewegen. Wenn wir uns entschieden haben, müssen wir im Anschluss zusammenstehen und die Beschlüsse gemeinsam nach außen vertreten. Die Bürgerinnen und Bürger erwarten von uns, dass wir klar und deutlich sind. Und sagen, was wir wollen. Auch für diese Klarheit stehen Klara und Olaf.

Die Doppelspitze wird unsere Partei verändern und ihr guttun. Wir haben uns entschieden, Klara und Olaf zu wählen. Mit ihren unterschiedlichen Lebenswegen und Erfahrungen aus einem ostdeutschen Flächenland und einer starken Stadtpartei bringen sie das mit, was es jetzt an der Spitze unserer Partei braucht.


Mit solidarischen Grüßen

Niels Annen, MdB
Carsten Schneider, MdB

 

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