So gefährlich kann der Brexit für die EU werden

20.06.2016

Für den vorwärts[1] habe ich die Gefahren eines möglichen Brexit aufgezeigt:

Ein Ausstieg Großbritanniens aus der EU wäre nicht nur für die Briten ein großes Risiko. Auch der Europäischen Union droht eine konjunkturelle Abwärtsspirale. Im schlimmsten Fall folgt eine sukzessive Auflösung der EU, fürchtet Niels Annen.
Am 23. Juni entscheiden die Briten über ihren Verbleib in der Europäischen Union. Die Frage des Referendums wird lauten: „Should the United Kingdom remain a member of the European Union or leave the European Union?“ ‚Bremain’ oder ‚Brexit’ – also EU-Verbleib oder EU-Austritt – daran scheiden sich in Großbritannien kurz vor der Abstimmung die Geister. Eines ist klar: Der Ausgang des Referendums wird die Zukunft der EU in beträchtlichem Maße prägen.

Die vielen Umfragen, die im Vorfeld des Referendums die Wahlabsicht der Briten prognostizieren, lassen keinen eindeutigen Trend erkennen. Auch wenn dem Brexit-Lager momentan eine größere Wählergunst zugeschrieben wird, lässt die vorhergesagte hohe Wahlbeteiligung sowie der Fakt, dass unentschlossene Wähler am Ende häufig für den politischen Status Quo stimmen, hoffen, dass die Briten für einen Verbleib Großbritanniens in der EU stimmen und das – für Premier David Cameron und die EU – Worst-Case-Szenario abgewendet wird. Der grausame Mord an der engagierten pro-EU Labour-Politikerin Jo Cox zeigt, dass die Brexit-Debatte aus den Fugen geraten ist. Ob dieses tragische Ereignis dem Bremain-Lager Aufwind verleihen wird, bleibt abzuwarten.

Der Brexit birgt, so führende Wirtschaftsexperten, ein großes Risiko für Großbritanniens wirtschaftliche Entwicklung. Das Volumen ausländischer Direktinvestitionen würde zurückgehen sowie das Pfund und der für Großbritannien so wichtige Finanzstandort London durch den Ausschluss aus dem EU-Binnenmarkt geschwächt werden. Eine konjunkturelle Abwärtsspirale wäre die Folge. Auch für die EU hätte der Brexit negative Auswirkungen – und das auf verschiedenen Ebenen.

Erstens könnte sich aufgrund der ungewissen politischen Zukunft der EU die Volatilität der Finanzmärkte verschärfen: Europäische Leitindizes befinden sich bereits heute – vor der Brexit-Abstimmung – im Tiefflug. Auch die Auswirkungen auf die fragile konjunkturelle Erholung der Euro-Staaten könnten erheblich sein. Die deutsche Wirtschaft müsste aufgrund der engen, stetig wachsenden Handelsbeziehungen mit Großbritannien mit einem Abschwung rechnen.

Zweitens wäre der Brexit auch für die innere Dynamik in der EU folgenschwer. Aufgrund der Eurokrise, der Flüchtlingskrise und autoritärer Tendenzen in einigen Mitgliedsstaaten ist die EU bereits einer präzedenzlosen Zerreissprobe ausgesetzt. In einer von populistischen Bewegungen unter Druck geratenen EU könnten Volksabstimmungen dieser Art Schule machen und ähnlich polarisierte und euroskeptische Debatten durch eine Brexit-Mehrheit befeuert werden. ‚Nachahmer-Referenden’ in anderen Mitgliedstaaten könnten folgen und zu einer sukzessiven Auflösung der EU führen. Dies würde dann auch das Ende der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik und der EU-Außenpolitik im Allgemeinen einleiten.

Deshalb ist es umso wichtiger, dass unsere Botschaft an die britischen Wählerinnen und Wähler deutlich ist: Es ist ihre Entscheidung, ob sie in der EU bleiben möchten. Nach dem EU-Austritt wird Großbritannien aber nicht wie bisher von den Vorzügen des EU-Binnenmarktes profitieren können. Eine für die Briten maßgeschneiderte ‚Hybrid-Lösung‘ – ähnlich der Abkommen mit der Schweiz und Norwegen – wird es nicht geben. Es ist ein falsches Signal, einem Land, das sich explizit gegen die EU entschieden hat, die größten ökonomischen Vorzüge der EU-Mitgliedschaft auf dem Silbertablett zu servieren.

Kurzum: Die Brexit-Debatte ist ein Weckruf. Den Europäerinnen und Europäern muss vermittelt werden, dass ihre Bedenken gegenüber der EU gehört werden. Die Europäische Union wird auch den Brexit überstehen. Es ist aber an der Zeit, an einer strategischen Neuausrichtung zu arbeiten und eine Zukunftsvision für die EU zu formulieren. Nur so kann diese historisch-gewachsene Wertegemeinschaft auch in den kommenden Jahrzehnten den globalen Herausforderungen gerecht werden und höhere Akzeptanz bei den Bürgerinnen und Bürgern erfahren.

http://www.vorwaerts.de/artikel/so-gefaehrlich-brexit-eu[2]

Links:

  1. http://www.vorwaerts.de/
  2. http://www.vorwaerts.de/artikel/so-gefaehrlich-brexit-eu