IPG-Kolumne: "Der Geist, den man rief"

14.03.2016

In meiner aktuellen Kolumne für das IPG-Journal[1], die am 14. März erschienen ist, habe ich über Gründe für den unerwarteten Erfolg von Donald Trump bei den US-Vorwahlen berichtet und einen Ausblick darauf gegeben, was dieser Erfolg für den Wahlkampf bedeutet.

Was der Erfolg von Donald Trump für die politische Kultur in den USA bedeutet.

So mancher Europäer beobachtet den US-Wahlkampf mit einer Mischung aus Ungläubigkeit und Galgenhumor. Nicht anders halten es viele Amerikaner, wenn sie den Kandidatenwettstreit der Republikaner betrachten. Videos über Donald Trumps bizarre Auftritte und bitterböse Satiren liberaler Medien über den Immobilienmogul werden millionenfach geklickt. Doch nach dem Super Tuesday am 1. März und den Wahlerfolgen Trumps bleibt vielen das Lachen im Halse stecken. Nicht nur in der Führungsriege der Republikaner macht sich Panik breit. Auch außerhalb der USA wird die Sorge laut, ob dieser populistische, vulgär wirkende Politiker ernsthaft Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika werden könnte.

Zunächst sahen viele Beobachter in dem unerwarteten Erfolg Trumps ein Geschenk an die Demokraten, die sich im Falle der Nominierung des Immobilien-Milliardärs bereits auf einen ungefährdeten Sieg Hillary Clintons im November einrichteten. Stellte sich bisher die Frage, welche mitreißende Botschaft von der Kandidatin Clinton (die mehr Mühe hat als erwartet, sich gegen Bernie Sanders durchzusetzen) nach Jahrzehnten im Politik-Geschäft eigentlich noch ausgehen sollte, scheint dies nun klarer. Clinton verkörpert Berechenbarkeit und Erfahrung – und damit das genaue Gegenteil von Donald Trump. Eigenschaften, die ihr ursprünglich zum Verhängnis zu werden drohten, da sie damit im Gegensatz zur Aufbruchsstimmung des Obama-Wahlkampfs 2008 wenig Begeisterung auslöst, sollten ihr nun zum Vorteil gereichen.

Doch Clinton ist nicht nur vielen Republikanern als Teil des „Establishments“ verhasst, auch im Demokratischen Lager gibt es eine verbreitete „Anti-Establishment-Stimmung“, die von allen Beobachtern und Parteistrategen dramatisch unterschätzt worden ist. Natürlich kann man Sanders nicht mit Trump vergleichen, aber auch der Senator aus Vermont hat die wachsende Unzufriedenheit in der Bevölkerung in politisches Kapital verwandeln können. Beide, Trump und Sanders, verweisen auf ihre finanzielle Unabhängigkeit von den verhassten Eliten. Trump, indem er beteuert, seine Kampagne sei von ihm selbst bezahlt (was nicht ganz stimmt) – Sanders, indem er auf ein „Super-PAC“ verzichtet und sich vor allem durch Kleinspenden finanziert. Die Führungseliten beider Parteien haben in ihrem Kerngeschäft, die Stimmung im Land zu analysieren und zu kanalisieren, versagt.

Im Falle der Republikanischen Partei hat dieses Versagen de facto zur Spaltung der Partei geführt. Ob diese von Dauer sein wird, hängt nicht zuletzt davon ab, ob Trumps Kandidatur noch aufgehalten werden kann. Mit letzter Sicherheit wird sich dies erst auf dem Parteitag im Juli zeigen. Derzeit sieht es jedoch so aus, als ob alle Versuche, Trump aufzuhalten, zu spät kommen dürften. Spätestens nach dem sogenannten „Super Tuesday, Part II“, mit Vorwahlen in den bevölkerungsreichen Staaten Florida, Illinois und Ohio, bei denen dem siegreichen Republikaner nach dem „Winner-takes-all“-Prinzip alle Delegiertenstimmen zugesprochen werden, dürfte Klarheit bestehen. Sollte Trump aus diesen Vorwahlen als klarer Sieger hervorgehen, wäre ihm die Nominierung kaum noch zu nehmen.

Trumps Erfolg hängt auch damit zusammen, dass der einzige halbwegs erfolgreiche Gegenkandidat, der erzkonservative Ted Cruz, von vielen führenden Republikanern zutiefst verabscheut wird. Cruz‘ Stärke zerstört die vage Hoffnung, mit einem gemeinsamen moderaten Kandidaten Trump in die Schranken weisen zu können. Senator Marco Rubio ist zwischen den beiden Extremen blass geblieben.

So lauten die zwei Kernfragen: Was kann eigentlich noch schiefgehen, so dass die nächste Präsidentin nicht Clinton hieße? Und was bedeutet die wahrscheinliche Kandidatur Trumps für die politische Kultur in den USA?

Es kann davon ausgegangen werden, dass Trumps Team alles tun wird, um vermeintliche Leichen im Keller der Clintons auszugraben. Stichworte sind hier vor allem die Affäre um die Nutzung eines privaten E-Mail-Servers während ihrer Zeit als Außenministerin und die Umstände um den Überfall auf das US-Konsulat in Bengasi 2012, bei dem der damalige US-Botschafter J. Christopher Stevens zu Tode kam. Dass Clinton nach den bereits erfolgten Untersuchungen durch den Kongress noch über diese Vorfälle stolpern wird, ist unwahrscheinlich, wenngleich rechtliche Schritte gegen sie weiterhin nicht völlig ausgeschlossen werden können.

Für Clinton stellt die Mobilisierung ihrer Wählerinnen und Wähler die größte Herausforderung dar. Sie wird klug genug sein, sich – neben einer „Anti-Trump“-Strategie – nicht von den unbestreitbaren Erfolgen Obamas zu distanzieren, aber dennoch auch Forderungen aufzugreifen, die Sanders so erfolgreich gemacht haben. Bereits in den letzten Monaten ließ sich beobachten, wie Clinton einen deutlich linkeren Kurs fuhr als bisher, in dem sie das geplante Freihandelsabkommen TTIP kritisierte, höhere Abgaben für Vermögende und eine strengere Regulierung der Finanzmärkte forderte. Übertreiben wird sie es damit nicht. „Demokratischer Sozialismus“, wie ihn Sanders vertritt, ist zwar unter der progressiven Jugend schon lange kein Teufelszeug mehr (welch Fortschritt!), aber in der politischen Mitte der USA nach wie vor nicht salonfähig.

Im Wahlkampf gegen Clinton wird sich Trump etwas staatsmännischer geben, auch wenn er weiter darauf abzielen wird, Clinton als Vertreterin des negativ konnotierten „Washington“ darzustellen. Es ist fraglich, ob dies ausreichen wird, um ein breites Wählerspektrum von weit rechts außen bis zur Mitte mehrheitlich zu überzeugen. Viele stimmkräftige Minderheiten (Afroamerikaner, Hispanics) stehen Clinton deutlich näher. Und auch wenn Trump im Ton moderater werden sollte, die polarisierenden und rassistischen Ausfälle aus dem Vorwahlkampf wird er nicht loswerden.

Gleichzeitig wäre es töricht, Trump zu unterschätzen. Durch sein Image als Außenseiter, der Wahlkampf gegen das etablierte „System“ macht, mobilisiert er die Protestwähler, die Abgehängten, die „Sich-benachteiligt-Fühlenden“ und diejenigen, die in der Vergangenheit gar nicht mehr gewählt haben. Der politisch-kulturelle Nährboden für ihn ist von den Republikanern und ihren konservativen Medien selbst vorbereitet worden. Trump ist nur der Geist, den man rief und nun nicht mehr loswird. Mit teils hasserfüllter Rhetorik wetterte die Tea-Party-Bewegung jahrelang gegen die Regierung Obama und „die da oben“. Die Heftigkeit der politischen Auseinandersetzung in den USA wäre in vielen europäischen Staaten undenkbar.

Auch wenn einige Beobachter konstatieren, dass die USA unter Barack Obama gesellschaftlich nachhaltig nach links gerückt sind und die Vertreter der sogenannten Millennial-Generation parteiübergreifend deutlich liberalere Ansichten vertreten als ältere Generationen, darf das nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich der rechte Rand, die „angry white males“, in den letzten Jahren immer stärker radikalisiert hat. Die Polarisierung der US-Gesellschaft würde durch eine Kandidatur Trumps wohl noch verstärkt werden. Seine Kampagne hat bisher keinerlei nennenswerte Programmatik vorgelegt, auch in der Außenpolitik sind bisher nur Slogans, Beleidigungen (der Bundeskanzlerin) und ein Lob für Putin überliefert. Es wäre ein Fehler, diese Bemerkungen als Wahlkampfgetöse abzutun. Ein Präsident Trump wäre nicht nur für die USA eine Katastrophe.

Doch wenn das Ergebnis dieser Dynamik ist, dass Clinton inhaltlich nach links rückt, damit die Präsidentschaftswahlen gewinnt und sich die Republikanische Partei anschließend neu findet, in dem sie sich von ihrem populistischen Ballast befreit, dann wäre das aus deutscher und europäischer sozialdemokratischer Sicht ein gutes Ergebnis. Clinton wird möglicherweise etwas andere Akzente in der Außenpolitik setzen, sich eher als Obama in einige Konflikte einmischen, aber radikale Kehrtwenden oder eine gefährliche Unberechenbarkeit, wie Trump sie darstellt, sind von ihr nicht zu erwarten. Nur: Zu sicher sollten wir uns nicht sein. Schließlich ist auch schon ein zweitklassiger Schauspieler Präsident der Vereinigten Staaten geworden. Der Wahlkampf kann ebenso einen ganzen anderen Verlauf nehmen. Das haben die letzten Monate gezeigt.

http://www.ipg-journal.de/kolumne/artikel/der-geist-den-man-rief-1327/[2]

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