SPD

Brasilien während der Präsidentschaftswahlen

Gespräch mit den brasilianischen Politikwissenschaftlern Camila Asano, Wagner Romão und Esther Solano

12.10.2018

Deutschland und Lateinamerika sind historisch und kulturell, aber auch durch gemeinsame Werte, wie dem Vorrang für multilaterale Ansätze, eng miteinander verbunden. Im Auswärtigen Amt habe ich mich Ende September mit den brasilianischen Politikwissenschaftlern Camila Asano, Wagner Romão und Esther Solano getroffen, um über die anstehenden Präsidentschaftswahlen und die zunehmende Polarisierung der brasilianischen Gesellschaft zu sprechen.

Der erste Wahlgang am 7. Oktober 2018

Im ersten Wahlgang am 7. Oktober 2018 hat der rechtsextremistische Kandidat Jair Bolsonaro nur knapp die absolute Mehrheit verfehlt. Bei diesem Ergebnis  wäre es sehr überraschend, wenn es dem zweitplatzierten Fernando Haddad der brasilianischen Arbeiterpartei Partido dos Trabalhadores (PT) gelingen sollte, den Vorsprung von 17% in der Stichwahl am 28. Oktober 2018 einzuholen und Präsident zu werden.

Die Sicherheitslage muss verbessert werden

Brasilien steht wieder einmal am Scheideweg. Die Gewaltbereitschaft im Land steigt, die Wirtschaft geschwächelt, die Infrastruktur ist marode und auch das Gesundheits- und Bildungssystem arbeitet größtenteils ineffizient. Acht der 50 gefährlichsten Städte der Welt liegen in Brasilien. Ursachen dafür sind weiterhin ein großes soziales Ungleichheit, eine hohe Arbeitslosigkeit, Drogenbanden sowie die allgegenwärtige Präsenz von Schusswaffen. Um der Lage Herr zu werden, entsandte Staatspräsident Michel Temer im Februar 2018 das Militär in die Favelas‘ Rio de Janerios. Noch bis Ende 2018 sollen die Soldaten bleiben, um die Sicherheitslage zu verbessern. Trotz des Militäreinsatzes sind die Opferzahlen gestiegen. Raubüberfälle, Morde und Entführungen sind ebenso wie Polizeigewalt an der Tagesordnung

Die Gesellschaft ist gespalten, Wähler sind frustriert

Nur 13 Prozent der Brasilianer sind mit der Demokratie in ihrem Land zufrieden, lehnen die Demokratie sogar ab und rufen nach einem „starken Mann“. Die Gesellschaft ist massiv gespalten. Kurz vor den Präsidentschaftswahlen sind die Wähler frustriert. Die Wahlversprechen Bolsonaro von Recht und Ordnung, Disziplin und Patriotismus stehen daher hoch im Kurs.

Das Urteil gegen Lula, Impeachment gegen Rousseff

Bolsonaro, der gerne mit Trump vergleichen wird, hetzt offen gegen Frauen, Schwarze, Indigene, Schwule und andere Minderheiten. Er sieht in Hitler einen „großen Strategen“, möchte Gewerkschaften verbieten und politische Gegner am liebsten erschießen. Bolsonaro verteidigt die Militärdiktatur von 1964 bis 1985 als eine „glorreiche Epoche“. Die Militärmachthaber hätten jedoch den Fehler begangen, dass sie gefoltert und nicht getötet hätten. Angesichts eines Blutzolls von etwa 10.000 durch Junta ermordeten Menschen, ist das erstens falsch und zweitens menschenverachtend. Derweil wurde Luiz Inácio Lula da Silva, der populärste Politiker Brasiliens und Gründungsmitglied der PT, nur kurz nach seiner Kandidaturanmeldung wegen Korruption verurteilt. Im Falle einer Kandidatur hätte Lula laut Umfragen im ersten Wahlgang rund 40 Prozent der Stimmen erhalten. Er ist vor allem in ärmeren Bevölkerungsschichten beliebt und hat sich als Präsident Brasiliens einen guten Ruf erworben. Seinen Ausschluss von den Präsidentschaftswahlen bewerte auch ich kritisch. Ich habe weiterhin starke Zweifel, dass das Urteil gegen Lula ein Erfolg im Kampf gegen die Korruption ist. Eine Verurteilung muss auf stichhaltigen Beweisen basieren und darf nicht von Sympathien oder Antipathien geleitet sein. Zudem muss das Urteil gegen Lula auch in Zusammenhang mit der Amtsenthebung der ehemaligen Staatspräsidentin Dilma Rousseff gesehen werden. Mit dem Impeachment gegen Rousseff wurde in Brasilien der Weg frei gemacht für das Projekt eines neoliberalen Rollbacks, das zuvor an den Wahlurnen keine Mehrheit gefunden hatte.

Brasilien bleibt ein strategischer Partner

Weil Brasilien in den Bereichen G20, multilaterale Agenda, Klimaschutz, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur für Deutschland ein strategischer Partner ist und bleibt, ist eine Zusammenarbeit für beide Seiten auch in Zukunft wichtig. Wir wollen möglichst bald nach Amtsantritt der neuen Regierung am 1. Januar 2019 auch die Regierungsberatungen wieder aufnehmen. Ob die aktuelle politische Polarisierung bis dahin nachlassen wird, ist allerdings noch völlig offen.

Camila Asano, Wagner Romão und Esther Solano möchte ich in jedem Fall für das Gespräch danken.

 

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