SPD

Neue postkoloniale Abhängigkeit?

Afrikapolitik sollte mehr als eine Investitionsagenda für Europa sein.

08.06.2017

Meinen aktuellen Beitrag für das IPG-Journal der Friedrich-Ebert-Stiftung gibt es auch auf Englisch und Russisch.

Im Rahmen des G20-Gipfels im Juli in Hamburg steht die Zusammenarbeit mit Afrika im besonderen Fokus. So soll als Resultat des Gipfels unter anderem ein Vertrag mit Afrika, der sogenannte „Compact with Africa“ verabschiedet werden. Die deutsche G20-Präsidentschaft hat sowohl die Chance als auch die Verpflichtung, für eine progressive, solidarische und partnerschaftliche Afrikapolitik zu werben. 

Denn obwohl viel über das „Afrikajahr 2017“ geredet wird, werden die politischen Akzente deutlich an europäischen Wirtschafts- und Handelsinteressen ausgerichtet. Eine progressive Afrikapolitik sollte jedoch Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik in einem globalen Ansatz miteinander verbinden. Der EU-Afrika-Gipfel, der im November 2017 in Abidjan stattfinden wird, bietet dafür eine neue Chance. Deutschland und die EU könnten dort zeigen, dass sie die gemeinsamen politischen Ziele für Europa und Afrika nicht einer Investitions- und Wachstumsagenda für Europa unterordnen. Die Mängel in der Kooperation mit Afrika, die mit dem G20-Gipfel zu Tage treten, könnten dort zumindest teilweise behoben werden.

Einige afrikanische Gäste werden nach Hamburg kommen. Auch kürzlich auf dem G7-Gipfel in Sizilien waren Staats- und Regierungschef aus Äthiopien, Kenia, Niger, Nigeria, Tunesien und Guinea anwesend. Das alles kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Gipfeltreffen einen exklusiven Club der mächtigen Wirtschaftsnationen repräsentieren. Aus meiner Sicht reicht es nicht, einige handverlesene Vertreter Afrikas als Gäste zu G20-Treffen einzuladen. Das ändert wenig an dem grundsätzlichen Partizipationsdefizit afrikanischer Staaten. Mit Ausnahme von Südafrika ist kein weiteres afrikanisches Land als reguläres Mitglied im G20-Prozess vertreten. Die Zusammenarbeit mit afrikanischen Staaten gerade im Rahmen solcher Gipfeltreffen sollte auch nicht auf Migrationsfragen begrenzt werden. Angesichts globaler politischer Verschiebungen und drängender gemeinsamer Herausforderungen ist es höchste Zeit, unsere Beziehungen zu den Staaten Afrikas neu auszurichten.  

Sozialdemokraten fordern einen Paradigmenwechsel in der Afrikapolitik. Dazu braucht es mehr als reine Absichtserklärungen. Die G20-Nationen, die mit ihren Entscheidungen zum Teil gravierende Auswirkungen auf ärmere Länder haben, setzten im „Afrikajahr 2017“ auf Investitionspartnerschaften mit ausgewählten Afrikanischen Nationen. Durch Arbeit und Wachstum in Afrika soll Migration nach Europa verhindert werden. Dieses Vorgehen steht für ein neoliberales Wirtschaftsverständnis und verstärkt postkoloniale Abhängigkeitsstrukturen. Das ist das Gegenteil dessen, was ich mir unter einer solidarischen Afrikapolitik vorstelle. 

Eine progressive Afrikapolitik setzt darauf, eine sozial-ökologische Transformation afrikanischer und europäischer Gesellschaften und Wirtschaftssysteme in einem partnerschaftlichen Vorgehen einzuleiten. Gerechtigkeit, Frieden, Nachhaltigkeit und Solidarität müssen dabei im Mittelpunkt stehen. Jegliche afrikapolitische Initiative muss dabei von Grund auf mit dem Bewusstsein gedacht werden, dass europäischer Kolonialismus Strukturen geschaffen hat, deren Nachwirkungen die politische, soziale und wirtschaftliche Entwicklung Afrikas bis heute prägen. Den Rahmen für partnerschaftliche Zusammenarbeit bilden sowohl internationale Verträge und Zielsysteme wie die Agenda 2030, die Sustainable Development Goals und das Pariser Klimaabkommen sowie vor allem bereits vorhandene Konzepte aus Afrika wie die Agenda 2063 der Afrikanischen Union. 

Die G20-Nationen können und sollen als informeller Zusammenschluss wichtige politische Akzente in der Afrikapolitik setzen und Prozesse in globalen Institutionen verstärken. Wichtig dabei ist ein möglichst kohärentes ressortübergreifendes Handeln. Deutschland sollte mit gutem Beispiel vorangehen und die Vielzahl an afrikapolitischen Initiativen kohärent gestalten sowie in transparenter und übersichtlicher Weise an afrikanische Partner kommunizieren. Dazu gehört auch, sich auf europäischer Ebene verstärkt zu engagieren und EU-Afrika-Initiativen aktiv mitzugestalten. Wir sollten uns gerade mit unserem engen Verbündeten Frankreich abstimmen. Sich widersprechende Initiativen sind weder national noch international hilfreich. Bundesminister Müller hat mit der Vorlage seines „Marshall-Planes mit Afrika“ für Unverständnis und Verwirrung gesorgt. Viel Rhetorik – wenig dahinter. 

Progressive Afrikapolitik im Rahmen des G20-Prozesses bedeutet für mich auch, diesen zu öffnen und die Partizipation gesellschaftlicher Gruppen institutionell zu stärken. Der bereits bestehende Dialog mit der Zivilgesellschaft ist begrüßenswert, aber nicht ausreichend. Sowohl der Labour 20-Prozess, der Civil Society 20- und der Think-Tank-2-Prozess verdienen die Möglichkeit, stärker Einfluss zu nehmen. Die Defizite der demokratischen Legitimation müssen kreativ überwunden werden. Dies wäre möglich mit den in der Agenda 2030 dargelegten Verfahren im Rahmen des Hochrangigen Politischen Forums.

Der „Compact with Africa“ strebt unter anderem verbesserte Rahmenbedingungen für private Investoren in Afrika an. Natürlich ist wirtschaftliche Entwicklung über verstärkte Investition wichtig für die Entwicklung unseres Nachbarkontinentes. Aber diese Investitionen müssen differenziert, nachhaltig und gerecht sein. Und darüber hinaus müssen Investitionen in ein entsprechendes industrie- und landwirtschaftspolitisches Rahmenwerk eingebunden werden. Ohne die Einhaltung internationaler Verpflichtungen zum Schutz der Menschenrechte und zur Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnormen können Investitionen mehr schaden als nutzen. Besonderes Augenmerk muss auch auf die Qualität der neu zu schaffenden Jobs gerichtet werden. Es muss sichergestellt werden, dass erneute strukturelle Verschuldung verhindert wird. Darüber hinaus müssen Optionen für umfassende Entschuldungsverfahren geprüft werden. Es braucht einen entsprechenden Überprüfungsmechanismus im Compact als Garantie, dass entsprechende Standards und Regelwerke eingehalten werden. 

Es ist richtig und unverzichtbar, dass im Compact gefordert wird, gegen illegale Finanzströme und Kapitalflucht durch Geldwäsche, Steuerhinterziehung und Korruption vorzugehen. Bisher haben sich eher so genannte „good performers“ wie die Elfenbeinküste, Marokko, Ruanda, Senegal und Tunesien um die Partnerschaften beworben und wurden ausgewählt. Dies legt nahe, dass die Investitionen nicht die ärmsten und schwächsten Staaten erreichen werden, die diese besonders benötigen. Um langfristige Entwicklungsziele zu erreichen, wäre es allerdings notwendig, Akteure zu stärken, die sich für funktionierende demokratische Systeme und eine armutsmindernde Wirtschafts- und Entwicklungspolitik in ihren Ländern und Regionen einsetzen. In unserem Interesse kann es nicht sein, autoritäre Entwicklungsstaaten weiter zu stärken.